2. Juni 2010

Planungsamt  

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Vorwort

Die unverzögerte, unterirdische Ableitung des Regenwassers in Kanalsätzen führt in Städten und Ballungsräumen zu erheblichen Problemen. Laufende Investitionen in die Abwasserableitung und -behandlung sind die Folgen. Dabei verändert sich die Einstellung zum Regenwasser nicht nur aus technischer Notwendigkeit alter und überlasteter Kanalsysteme. Regenwasser wird vielerorts wieder oberirdisch geführt, sicht- und erlebbar als Gestaltungselement von Freiflächen und Landschaftsräumen eingesetzt. Im Neubaubereich sorgen neue Vorschriften für einen anderen Umgang.

Aber auch in bestehenden Siedlungsgebieten ist Wasser eine wichtige Ressource und kann ein Baustein der ökologischen Erneuerung sein. Die Umsetzung von Maßnahmen ist hier jedoch komplizierter, erfordert neue Ideen, teils einen erhöhten Kostenaufwand und einen längeren Realisierungszeitraum. Gleichzeitig bietet sich die Chance im Sinne der Nachhaltigkeit, diese Maßnahmen mit solchen der ohnehin erforderlichen baulichen Unterhaltung von Gebäuden und der Aufwertung des Wohnumfelds zu verknüpfen. Die Stadt Dortmund gehört zu den Vorreitern in NRW, die in vielen Projekten einen neuen, naturnahen Umgang mit dem Regenwasser erproben und entwickeln.

Dabei ändert sich die Einstellung zum Regenwasser nicht nur aus technischen und ökonomischen Erfordernissen: Ein neuer, naturnaher Umgang mit Freiraum ist für die Qualität von Siedlungen wichtig geworden. Der Umgang mit Regenwasser erhält eine neue Dimension: aus dem lästigen Naß wird ein bereicherndes strukturierendes Element der Freiraumgestaltung. Im Modellprojekt „Neuer Umgang mit Regenwasser“ in Dortmund Scharnhorst-Ost wird Regenwasserbewirtschaftung erstmals in NRW als zentraler Baustein der ökologischen Erneuerung einer Großwohnsiedlung eingesetzt. Scharnhorst-Ost gehört zu den insgesamt 28 „Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf“ des Landes Nordrhein-Westfalen. Durch eine integrierte Stadterneuerung werden in diesen Stadtteilen Handlungsfelder aus allen Ressorts koordiniert eingesetzt. Das Modellprojekt „Neuer Umgang mit Regenwasser“ in der Großsiedlung Scharnhorst-Ost ist ein integrierter Projektansatz, der verschiedene Handlungsfelder miteinander verbindet. Die am 17.09.1999 in Scharnhorst durchgeführte Ideenwerkstatt nutzt das Potential der Akteure im Stadtteil, die sich in der bewohnergetragenen Erneuerung engagieren. In Arbeitsgruppen, bestehend aus Freiraumplanungsbüros, Wohnungsgesellschaften, Bewohnern, Stadtämtern und lokalen Akteuren wurden inhaltlich qualifizierte Ideen entwickelt, die durch ihre Visualisierung und aus dem trockenen Thema Regenwasserbewirtschaftung lebendige Bilder entstehen lassen.

Hintergrund des Modellprojekts

Das Modellprojekt „Neuer Umgang mit Regenwasser“ in Dortmund Scharnhorst-Ost ist im Sommer 1998 vom Ministerium für Arbeit, Soziales, Stadtentwicklung, Kultur und Sport NW (MASSKS) und dem Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft NW (MURL) initiiert worden. Das Land trägt damit dem Engagement der Stadt Dortmund in der Erprobung eines neuen Umgangs mit Regenwasser Rechnung und honoriert die Aktivitäten der Beteiligten vor Ort für eine Erneuerung ihres Stadtteils. Für die Stadt Dortmund ist das Modellprojekt in Scharnhorst-Ost ein neuer Schritt in der Auseinandersetzung mit der naturnahen Regenwasserbewirtschaftung. Seit Anfang der 90er Jahren unterstützt sie Maßnahmen zur Regenwasserbewirtschaftung. Im Gebäudebestand konzentrierten sich die Bemühungen bisher auf gemischte Quartiere und Einfamilienhaussiedlungen. Scharnhorst-Ost ist als Großwohnsiedlung mit baulich und hydrogeologisch schwierigen Bedingungen ein neues Terrain, um den umweltgerechten Umgang mit Regenwasser zu entwickeln. Dies gilt landesweit! Als Vorbereitung für das Projekt hat die Stadt Dortmund einen Zentralabwasserplan aufgestellt, der den aktuellen Sanierungsbedarf des Kanalnetzes ausweist und Entlastungspotential durch Regenwasserbewirtschaftung aufzeigt.

Gebäude und Wohnumfeld

Die Großsiedlung Scharnhorst-Ost entstand in den Jahren 1966 bis 1975 im Nordosten des Stadtzentrums von Dortmund südöstlich der Zeche Scharnhorst. Heute leben rund 15.000 Einwohner in den 5.000 Wohnungen des Stadtteils auf der „grünen Wiese“ mit 114,5 ha Fläche. Neben den Zeilenbauten und Punkthochhäusern gibt es ein Stadtteilzentrum mit Versorgungsinfrastruktur sowie ein Gewerbegebiet. Die Wohngebäude sind weitgehend in Stahlbetonbauwiese industriell gefertigt und in wenigen Jahren errichtet worden. Sie haben überwiegend Flachdächer und eine innenliegende Regenwasserentwässerung. Dies gilt neben den Wohnbauten auch für öffentliche Gebäude wie Schulen sowie das Einkaufszentrum mit Läden, das in der gleichen Bauphase errichtet wurde. Das Wohnumfeld ist entsprechend der Großwohnsiedlungsarchitektur häufig monoton, Wege und Spielflächen sind mit Betonplatten belegt, Abstandsgrün ohne differenzierte Gestaltung und Zonierung prägt die Innenhöfe. Individuell durch Mieter gestaltete Vorgärten oder Hofecken bilden die Ausnahmen. Stellplätze sind mit Betonpflaster fast vollständig versiegelt. Durch das Handlungsprogramm des Landes sind bereits einige Erneuerungsmaßnahmen im Stadtteil umgesetzt worden. Neben der Schulhofumgestaltung an der Kautsky-Grundschule sei exemplarisch die „Spielachse“ in den Gebäudebeständen der LEG zwischen Peschweg und Severingstraße genannt. Doch in aller Regel besteht das Wohnumfeld aus großen Rasenflächen, die mit einem gut entwickelten Baumbestand als Abstandsgrün ohne Nutzungsangebote den Raum zwischen den Wohngebäuden prägen.

Landschaftsraum

Der mittlerweile stattliche Baumbestand, sowie die umgebende reizvolle Landschaft mit natürlichen Fließgewässern und Wäldern haben dazu geführt, dass Scharnhorst von seinen Bewohner/Innen als „Stadtteil im Grünen“ erlebt wird. Die Feuchtgebiete sind darüber hinaus von hoher ökologischer Bedeutung. Das Naturschutzgebiet „Alte Körne“ sowie mehrere Landschaftsschutzgebiete liegen östlich der Siedlung. Ein neuer Stadtteilpark und eine öko-logische Kleingartenanlage sind im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Emscher Park angelegt worden. Damit sind die Möglichkeiten zur Naherholung für Scharnhorster Bürger erheblich erweitert worden. Bei der Konzeption des Stadtteilparks sind offene Wasserflächen schon heute wichtige Gestaltungsmerkmale.

Geohydrologie

Scharnhorst war ehemals ein von Bächen durchzogenes Feuchtgebiet. Die Kultivierung für ackerbauliche Nutzung hat eine Teiltrockenlegung mit sich geführt. Der Bergbau hat durch die Anlage offener Abwasserführungen Anfang des Jahrhunderts gravierend in die natürliche Entwässerungssituationen eingegriffen; beeinflusst wird sie überdies von einer Folgeerscheinung des Bergbaus, den Bergsenkungen im Gebiet.

Heute stellt sich die geohydrologische Situation Folgendermaßen dar:

* Der bindige Lösslehm ist staunass und infolge der Bautätigkeit innerhalb der Siedlung stark verdichtet. Damit kann eine Regenwasserversickerung über den normalen Regenfall hinaus nicht vorgesehen werden.
* Grundwasser steht sehr hoch an, in den Wintermonaten in Fließgewässernähe bis zu 1m unter GOK.
* Die Bachläufe haben eine geringe Trockenwasserführung.

Zentralabwasserplan

Im Auftrag des Amtes für Tiefbau und Straßenverkehr der Stadt Dortmund wurde als Grundlage für das Modellprojekt ein integrierter Zentralabwasserplan für den Stadtteil Scharnhorst aufgestellt. In diesem Plan sind die hydraulischen Überlastungen des Kanalnetzes und potentielle Abkopplungsmöglichkeiten im gesamten Stadtteil aktuell ausgewiesen. Auf dieser Grundlage kann gezielt das Regenwasserbewirtschaftungspotential zur Entlastung des öffentlichen Kanalnetzes ermittelt werden. Die Regenwasserbewirtschaftung in Scharnhorst-Ost stellt erhörte Anforderungen an Verfahren und Gestaltungsideen, denn eine Versickerung des Regenwassers scheidet bei dem bindigen Untergrund aus. Nichts desto trotz wird die naturnahe Bewirtschaftung angestrebt. Ziel der Kombination von Stadterneuerung und Regenwasserbewirtschaftung ist es, Konzepte zur Wohnumfeldgestaltung zielgerichtet mit Kanalüberlastungspunkten zu kombinieren und somit aus dem „Entsorgungsproblem Regenwasser“, ein bereicherndes Element im Stadtteil zu entwickeln. Die Regenwasserbewirtschaftung führt zusätzlich zu einer Verbesserung des Fließwassers.

Aufgabenstellung

Vier überregional ausgewählte Freiraumplanungsbüros sowie das Grünflächenamt der Stadt Dortmund mit der Abteilung Planung und Entwurf bearbeiteten verschiedenen Raumsituationen im Stadtteil (siehe Anhang). Die generelle Aufgabenstellung für die Arbeit in den Gruppen war:
1. Für ausgewählte Raumsituationen soll zusammen mit Grundeigentümern und Nutzern ein Leitbild zur Regenwasserbewirtschaftung entwickelt werden.
2. Das Leitbild wird an einer kleinen Raumsituation konkretisiert, wobei die Lösung der haustechnischen Gegebenheiten und der gestalterische Umgang mit Regenwasser in Freiflächen im Vordergrund stehen.

Räumliche Zuteilung

Jeweils ein Freiraumplanungsbüro bearbeitete eine Fläche in den Beständen einer interessierten Wohnungsgesellschaft. Die Flächen wurden dabei auf Grundlage von Vorgesprächen mit den Wohnungsgesellschaften ausgewählt. Prämisse bei allen Entwürfen war, grundstückübergreifende Verknüpfungen mit in die Überlegungen einzubeziehen. Daher wurden räumliche Zuteilungen mit Kontaktpunkten zu anderen Arbeitsbereichen bzw. der freien Landschaft ausgewählt.

Die Ergebnisse

Ein wichtiges Ergebnis der Werkstatt hat mit den gestalterischen Entwürfen nur am Rande zu tun: Die Ideenwerkstatt führte zu einem regen Austausch zwischen den interessierten und engagierten Menschen im Stadtteil. Über Professionen hinweg wurde zusammen diskutiert und eine gemeinsame Sprache gefunden. Der rege Austausch hat nicht nur für das Modellprojekt, sondern darüber hinaus auch für den Stadtteil richtungsweisende Funktionen. Auf den nächsten Seiten werden die Ergebnisse der fünf Arbeitsgruppen dargestellt. Die Entwürfe haben grundsätzliche Gemeinsamkeiten. Sie stellen die Rückhaltung des Regenwassers bereits auf dem Dach sowie die Gliederung der monotonen Abstandsgrünflächen in frei zugängliche und geschützte Bereiche in das Zentrum ihrer Überlegungen und Konzepte.

Im Nordosten des Scharnhorster Zentrums liegt die Fußgängerzone mit dem Einkaufszentrum (eks), der Bezirksverwaltungsstelle und den Kirchen. Die Bestände der GAGFAH Immobilien-Management GmbH grenzen an. Die betrachteten Gebäude haben IV-VIII Geschosse, Flachdach und bilden von ihrer Lage einen offenen Block. Das Wohnumfeld besteht neben Stellplätzen und einer Tiefgarage aus einfachen Rasenflächen mit einzelnen Bäumen. Teile der Rasenflächen sind sehr staunass und werden über Sinkkästen an den Kanal angeschlossen und so entwässert. Die Evangelische Kirche schließt im Süden des Geländes an. Das Kirchgebäude mit Gemeindezentrum weist eine mehreckige, verwinkelte Bauform auf.

Der Südosten der Siedlung grenzt an das Naturschutzgebiet „Alte Körne“. Die durch differenzierte Feuchtbiotope gekennzeichnete Landschaft ist sehr einprägsam. Bislang gibt es keinen freiraumgestalterischen Übergang vom Wohnumfeld der Gebäude der Ruhr-Lippe-Wohnungsgesellschaft an der Max-Brod-Staße zum Landschaftsraum. Wie überall bestehen die Abstandsgünflächen aus monotonem Rasen mit altem Baumbestand. Orte und Wege des Wassers